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Deutsch-Basisfach beim Theater-Rave

Das Deutsch-Basisfach besuchte in Begleitung von Herrn Rieger die Theater-Rave-Performance "Liliom". Im ehemaligen Club Penthouse wurde das Stück im Lichte des Genderdiskurses neu interpretiert.

Der ungarische Dramatiker Ferenc Molnár stellt in seinem Text aus dem Jahr 1909 die Geschichte des Schaustellers Liliom dar. Liliom hat Liebschaften, misshandelt seine Frauen und als eine seiner Geliebten schwanger wird, plant er einen Raubüberfall, der schief geht. Seiner Strafe entzieht sich Liliom, indem er sich suizidiert und so die Mutter und sein ungeborenes Kind ihrem Schicksal überlässt. Vor einem himmlischen Gericht verklärt Liliom seine Gewalttat; aus Liebe zu seinem Kind habe er sie begangen. Als er später für einen Tag auf die Erde zurückkehren darf, erzählt er unter einer Deckidentität seiner mittlerweile jugendlichen Tochter zwar davon, in welcher Weise ihr Vater sein Leben verfehlt habe, schlägt letztlich aber auch sie. Als seine Tochter die Mutter später fragt, warum der Schlag des Fremden ihr keine Schmerzen bereitet habe, endet das Stück mit der "Moral", die die selbst zum Opfer der Übergriffe des Vaters gewordene Mutter ihrer Tochter vermittelt: Es sei möglich, so lehrt sie ihre Tochter, dass einen jemand schlage und es tue gar nicht weh.

Die Theatergruppe Citizen.Kane.Kollektiv wollte das so nicht stehen lassen. Gemeinsam mit der Ururururenkelin des echten Lilioms, die in Stuttgart als Queeraktivistin engagiert ist, führte die Gruppe das Stück im seit Jahren leerstehenden Club Penthouse auf. Ida Liliom kommentiert in dieser Aufführung immer wieder die Geschichte der Männer aus ihrer Familie und thematisiert, wie sich Verhaltensweisen toxischer Maskulinität durch die Generationen vererben - und was diese Geschichte für ihre eigene Identität bedeutet.

Nachdem Liliom tot ist, gibt die Inszenierung den im Stück weitgehend marginalisierten Frauenfiguren eine Stimme. Statt die Zeit, in der die Mutter das Kind bekommt und großzieht, auszublenden, wie es das Originalwerk tut, lotet die Aufführung aus, wie sich diese Zeit wohl abgespielt haben mag und wie es der Mutter möglich gewesen sein könnte, ihre Tochter in patriarchalen Strukturen durch weibliche Solidarität großzuziehen. Eine Utopie sei das zwar, so heißt es in der Inszenierung - eine Utopie, die die Aufführung jedoch zugleich in die Gegenwart und ins Jetzt der Aufführung übersetzen und zumindest für den Theaterabend Wirklichkeit werden lassen will. Und so ist der ehemalige Club Penthouse, eine Großraumdisko, in der sich im Nachtleben problematische Geschlechterstereotype wieder und wieder reproduziert haben, an diesem Abend während der Aufführung ein 'safe space', der die Zuschauer*innen dazu einlädt, in den Aufführungspausen zu Technomusik zu feiern. Übergriffe jeder Art sind dabei verboten, die Einhaltung wird durch ein Awareness-Team kontrolliert. Die Teilnehmer*innen, die sich so als Teil des Stückes begreifen können, sind dazu aufgerufen, im queeren Geist miteinander umzugehen - in gegenseitiger Akzeptanz, dem Zugeständnis identitärer Freiheit und in der Respektierung persönlicher Grenzen.

Der Abend stellte eine durch und durch außergewöhnliche Theatererfahrung dar, die Stoff für Diskussionen und Denkanstöße gab und dem Deutsch-Kurs gewiss in langer Erinnerung bleiben wird.

Text: Re

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